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Lektine
Lektine sind Kohlenhydrat-bindende Proteine (Glykoproteine), die Zellen zusammenballen (engl. agglutinate) können ohne diese zu verändern. Wegen dieser Eigenschaft werden sie auch Agglutinine genannt. Sie sind zudem Anti-Nährstoffe, die unsere Verwertung von Nährstoffen beeinträchtigen. Dies geschieht durch eine Schädigung der Mikrovilli (Zellfortsätze, die zur Verbesserung des Stoffaustausches beitragen) in der Darmschleimhaut. Die Folgen sind eine Verkleinerung der Darm-Oberfläche und eine verringerte Nährstoffaufnahme. Lektine kommen in den meisten Pflanzen und somit auch in der menschlichen Nahrung vor. Sie übernehmen eine natürliche Schutzfunktion gegen Krankheiten, Schädlinge, pflanzenfressende Insekten und Tiere. In besonders hoher Konzentration kommen sie in den Samen der jeweiligen Pflanzen vor. In geringeren Konzentrationen sind sie aber auch in anderen pflanzlichen Geweben auffindbar, wie zum Beispiel in Knollen, Zwiebeln, Wurzelstöcken und Rinde. Für den Menschen haben sie sowohl schädliche als auch nützliche Eigenschaften.
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Wie wirkt sich der Verzehr von Lektinen auf den Darm aus?
Lektine können nicht (vollständig) verdaut werden. Sie widerstehen dem niedrigen (sauren) pH-Wert im Magen und gelangen so in den Darm, wo sie den Verdauungsenzymen standhalten. Sie binden sich an die Zellen der Darmschleimhaut und üben so einen negativen Einfluss auf den Austausch, die Vermehrung, sowie den Verlust dieser Zellen aus. Es kommt zu Schäden der auf den Darmzotten befindlichen Mikrovilli. Diese gehören zur Darmschleimhaut und sorgen in gesundem Zustand für eine Vergrößerung der Darmoberfläche und somit für eine optimale Nährstoffaufnahme. Sind diese nun beschädigt, wird die Verdauung und Aufnahme von Nährstoffen beeinträchtigt. Aus diesem Grund werden Lektine als Anti-Nährstoffe beschrieben. Durch die Veränderungen des Zell-Stoffwechsels der Darmwand (Epithel) verändert sich das Bakterien-Gleichgewicht im Darm (Darmflora). Unverdaut begünstigen sie die Vermehrung und folglich die Überproduktion bestimmter Darm-Bakterien, insbesondere E. coli (Escherichia coli).
Welchen Einfluss haben Lektine außerhalb des Darms?
Des Weiteren kommt es zu Wechselwirkungen mit Enzymen, die zu einer verschlechterten Verdauung von Proteinen führen. Unverdaute Lektine können durch die Bindung an Zellen der Darmwand in den Blutkreislauf und somit zu anderen inneren Organen gelangen. Dadurch kommt es zu Veränderungen der betroffenen Organe und des Stoffwechsels (Metabolismus). Daraus entstehen Einschränkungen der körpereigenen Immunfunktionen sowie der Wachstumsfähigkeit. Es muss betont werden, dass die meisten Studien mit konzentrierten und isolierten Lektinen durchgeführt wurden. In unserer Ernährung kommen sie allerdings in viel geringeren Konzentrationen und immer in Verbindung mit anderen Nährstoffen vor. Die Ergebnisse dieser Studien können daher nicht direkt auf Lektine in unserer Ernährung übertragen werden. Besonders gut erforscht sind die Lektine PHA (Phytohämagglutinin) und WGA (Wheat Germ Agglutinin), die in rohen Kidneybohnen und Weizenkeimen vorkommen. Allerdings verzehren wir Kidneybohnen im gekochten Zustand. Das macht die darin enthaltenen Lektine unschädlich.
Welche Symptome können bei einer Lektin-Vergiftung auftreten?
Wenn Menschen einer hohen Konzentration von aktiven Lektinen ausgesetzt sind, kommt es zu einer akuten Vergiftung. Dies geschieht in der Regel nur bei unzureichender Verarbeitung und anschließendem Verzehr, beispielsweise von rohen Kidneybohnen und dem darin enthaltenen giftigen Lektin PHA. Folgende Symptome sind bei einer akuten Vergiftung typisch:
Stehen Lektine in Verbindung mit Autoimmunerkrankungen?
Im gesunden Zustand hat der Darm eine Barriere. Diese hält unzureichend verdaute Moleküle oder Schadstoffe davon ab, die Darmwand zu durchdringen und in den Blutkreislauf einzutreten. Lektine rufen Veränderungen an der Darmwand hervor. Hierdurch wird die Integrität und Funktion dieser Barriere gestört. Werden für den Dünndarm schädliche Moleküle wiederholt verzehrt, führt dies zu einer verstärkten Durchlässigkeit der Darmwand (Sickerdarm-Syndrom, engl. leaky gut syndrome). So gelangen Lektine in den Blutkreislauf. Befinden sich die unverdauten Moleküle erst einmal im Blut, binden sie sich an andere Gewebszellen und körperfremde Substanzen (Antigene). Diese Anbindung ruft wiederum eine Immunreaktion gegen die Lektine selbst und gegen die Gewebe an die sie gebunden sind hervor. Dies kann eine Autoimmunerkrankung zur Folge haben.
Haben Lektine positive Eigenschaften?
Ja, Lektine können nützlich sein. Bei entzündlichen Darmerkrankungen kann es sinnvoll sein, den Verdauungstrakt zu umgehen und den Patienten intravenös zu ernähren. Durch eine direkte Versorgung mit Nährstoffen über die Blutbahn (parenterale Ernährung), kann sich der Darm beruhigen. Dies ist zum Beispiel bei akuten Schüben von Morbus Crohn und Colitis Ulcerosa sinnvoll. Hierbei kann es allerdings zu einem Funktionsverlust der Dünndarm-Schleimhaut (Schleimhautatrophie) kommen. Dieser Funktionsverlust führt dazu, dass Nährstoffe nicht mehr effektiv durch die Darmwand aufgenommen werden. Lektine können sich nun an Zellen in verschiedenen Darmregionen binden und eine Erneuerung der Darmwand hervorrufen. So wird ein Funktionsverlust verhindert oder verbessert.
Welche Nahrungsmittel enthalten Lektine?
Die meisten pflanzlichen Nahrungsmittel enthalten Lektine. Einige bekannte Beispiele sind in dieser Tabelle gelistet.
Lebensmittel-Gruppe | Lektin | Lebensmittel |
---|---|---|
Hülsenfrüchte | Phytohämagglutinin (PHA) | Rote Kidneybohnen |
| Soybean agglutinin (SBA) und Soybean lectin (SBL) | Sojabohnen |
| Broad bean agglutinin, Vicia faba agglutinin (VFA) | Ackerbohnen |
| Phaseolus vulgaris leukoagglutinin |
Grüne Bohnen |
| Concanavalin A (ConA) | Jackbohnen |
| Cicer arietinum agglutinin (CAA-I und CAA-II) | Kichererbsen |
| Lens culinaris lectin (LCL) | Linsen |
| Pisum sativum agglutinin (PSA) | Erbsen |
| Peanut lectin (PNA) | Erdnüsse |
Getreide | Wheat germ agglutinin (WGA) | Weizen (Weizenkeime) |
| Rice bran agglutinin (RBA) | Reis (Reiskleie) |
| Corn coleoptile lectin (CLL) | Mais |
Nachtschattengewächse | Solanum tuberosum lectin (STL) | Kartoffeln |
| Lycopersicon esculentum lectin (LEL, TL) | Tomaten |
Pilze | Pleurotus ostreatus lectin (POL) | Austernpilze |
| Agaricus bisporus agglutinin (ABA) | Weiße Champignons |
Lauchgewächse | Allium sativum lectin (ASA I und ASA II) | Knoblauch |
| Allium cepa agglutinin (ACA) | Zwiebeln |
Früchte | Banana lectin (BanLec-I) | Bananen |
Soll ich lektinehaltige Nahrungsmittel vermeiden?
Für die Mehrheit der Bevölkerung gilt ganz klar: Nein, denn viele dieser Nahrungsmittel sind für den Menschen sehr gesund. Außerdem sind die meisten Lektine für den Menschen unschädlich. Für giftige Lektine (zum Beispiel PHA aus rohen Kidneybohnen) wiederum gilt: Bei ordnungsgemäßer Zubereitung sind sie für den Menschen ungefährlich, denn die meisten von ihnen sind nicht hitzebeständig. Werden diese Nahrungsmittel also vor dem Verzehr ausreichend gekocht, verändern sie ihre Struktur und werden unschädlich gemacht. Ebenso verringert sich ihre Konzentration in Lebensmitteln, wenn diese vor dem Verzehr eingeweicht, gekeimt oder fermentiert werden. Zum Beispiel wird der Lektin-Gehalt von Hülsenfrüchten bei der Fermentation um bis zu 98 Prozent verringert. Für die gesunde Bevölkerung sind diese Nahrungsmittel daher unschädlich und sollten nicht aufgrund ihres Lektin-Gehaltes aus der Ernährung gestrichen werden.
Bei einigen Menschen mit Autoimmun-Erkrankungen oder rheumatoider Arthritis führt eine Vermeidung von lektinhaltigen Nahrungsmitteln allerdings zu einer Verbesserung der Symptome. Bei manchen Menschen mit entzündlichen Darmerkrankungen sorgen Hülsenfrüchte für Probleme und Wissenschaftler vermuten, dass Lektine ebenso bei Nahrungsmittel-Intoleranzen eine Rolle spielen. Erste Erkenntnisse darüber, ob du unter einer Intoleranz leidest, kannst du in diesem Selbsttest herausfinden.
Lektine und Zöliakie
Zudem wird diskutiert, ob sie in der Entstehung von Zöliakie relevant sind. Dennoch fehlen an Menschen durchgeführte Studien, um diesbezüglich eine eindeutige Empfehlung auszusprechen. Studien an Tieren werden in der Regel mit viel größeren Lektin-Mengen und höheren Konzentrationen durchgeführt, als sie in der menschlichen Ernährung vorkommen. Deshalb lassen sich ihre Resultate nicht direkt auf den Menschen übertragen. Aus diesem Grund wird die eventuelle Lektin-Zöliakie-Assoziation mehrheitlich abgelehnt. Da Lektine in einer großen Menge an gesunden Nahrungsmitteln vorkommen ist es eher unwahrscheinlich, dass sie einen merklichen Einfluss auf die Entstehung von Krankheiten haben.
Wie finde ich heraus, ob Lektine für mich problematisch sein können?
Lektin-spezifische Antikörper im Blut können ein weiterer Hinweis darauf sein, dass eine verstärkte Immunreaktion vorliegt. Von Bedeutung sind hier die Antikörper Immunoglobulin G (IgG) und Immunoglobulin A (IgA). Das Führen eines Ernährungstagebuchs ist in jedem Fall zu empfehlen. Anhand der Notizen lassen sich Nahrungsmittel genauer eingrenzen, die für verstärkte Symptome sorgen. So kannst du herausfinden, ob Lektine für Probleme sorgen.
Wie wird der Lektin-Gehalt von Lebensmitteln bestimmt?
Die Konzentration in Lebensmitteln wird durch das Antikörper-basierte Nachweisverfahren ELISA (enzyme-linked immunosorbent assay) bestimmt. Hierbei wird zunächst eine Microtiterplatte mit Antigenen (in diesem Fall Lektinen) beschichtet. Anschließend werden Lektin-spezifische Antikörper hinzugefügt und das Binden der Antikörper an aktive Lektine wird gemessen.
Finden Lektine auch Verwendung in anderen Bereichen?
In der Medizin werden sie zur Blut-Typ-Bestimmung genutzt. Sie können sich an Kohlenhydrate und Glykoproteine binden. Diese Fähigkeit ist für die Entwicklung von Medikamenten nützlich, die sich im Körper an ganz bestimmte Zellen binden sollen. Die Lektine der Mistel (Viscum album L.) hemmen das Wachstum von Tumoren. Aufgrund dieser Eigenschaft werden sie unterstützend in der Krebstherapie eingesetzt. Zusätzlich regen sie das Immunsystem durch die verbesserte Produktion von Zytokinen und natürlichen Killerzellen an. Letztere sind unter anderem dafür zuständig, Tumorzellen zu erkennen und abzutöten. Beispielhaft hierfür ist das Medikament Lektinol, das die allgemeine Lebensqualität sowie die Verträglichkeit konventioneller Krebs-Therapien verbessert. Auch für die Therapie von Herz-Kreislauf- und Stoffwechsel-Erkrankungen sowie für die Bekämpfung des HI-Virus können sie relevant sein.
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