Neue Bluttests und Biomarker beim Reizdarmsyndrom – Wie weit ist die Forschung?
Für viele Betroffene würde ein Test, der sicher die Diagnose eine Reizdarmsyndroms stellen kann, eine lange Zeit der Ungewissheit ersparen. Bisher dauert es oft Jahre, bis die Diagnose gesichert ist. Noch ist das Reizdarmsyndrom eine Ausschlussdiagnose. Das heißt, dass erst alle anderen möglichen Erklärungen für die Symptome ausgeschlossen werden müssen, bevor die Diagnose Reizdarmsyndrom gestellt werden kann. Somit unterziehen sich Betroffene vielen, teils unangenehmen Untersuchungen wie beispielsweise einer Spiegelung des Darms. Deshalb wäre es für Betroffene von großer Bedeutung, wenn es auch für das Reizdarmsyndrom einen Test gäbe. Auch die ärztlichen Leitlinien zum Reizdarmsyndrom diskutieren, welche Blutwerte Hinweise auf das Reizdarmsyndrom geben können. Noch wurde zwar kein Stoff gefunden, der spezifisch für das Reizdarmsyndrom ist und somit als sogenannter Biomarker fungieren könnte, aber es gibt viel Forschung in diesem Bereich.
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Was ist ein Biomarker?
Biomarker sind Stoffe im Körper, die in einem Labortest bestimmt werden können und Hinweise auf eine Veränderung im Körper, eine Krankheit oder deren Verlauf geben können. Ein Beispiel ist das humane Choriongonadotropin (HCG), das sich bei einer Schwangerschaft im Blut und Urin nachweisen lässt. Dadurch kann man feststellen, ob eine Schwangerschaft besteht und wie weit diese fortgeschritten ist.
Grundsätzlich können viele verschiedene Stoffen als Biomarker dienen, wie zum Beispiel bestimmte Gene und veränderte Proteine oder Stoffwechselprodukte. Wird beispielsweise eine bestimmte Aminosäure aufgrund eines Gendefekts nicht verarbeitet, reichert sie sich im Blut an. Das kann bei der Diagnose helfen.
Wo kann man Biomarker nachweisen?
Ein Biomarker lässt sich im Blut, Urin, Stuhlgang oder anderen Körperflüssigkeiten finden. Neben solchen Biomarkern gibt es auch noch andere diagnostische Instrumente, die dem behandelnden Arzt Hinweise für das Vorliegen einer bestimmten Krankheit geben können. Ein Beispiel hierfür sind die Ergebnisse von Depressions-Fragebögen, die auch in der Diagnostik des Reizdarmsyndroms Anwendung finden können.
Reicht ein Bluttest zur Diagnose aus?
Häufig werden spezifische von unspezifischen Biomarkern unterschieden. Ein spezifischer Biomarker würde bei seinem Nachweis zur Diagnose einer bestimmten Krankheit beitragen. Wurde zum Beispiel die Schilddrüse wegen eines Tumors entfernt, spricht der Nachweis von bestimmten Biomarkern nach der Operation mit hoher Wahrscheinlichkeit für ein Wiederauftreten der Krebserkrankung.
Die meisten Biomarker sind jedoch eher unspezifisch. Das bedeutet, sie liefern einen Hinweis auf einen bestimmten Prozess im Körper, aber trotzdem bedeutet ihr Vorkommen nicht, dass eine konkrete Erkrankung vorliegt. Ein Beispiel hierfür sind Entzündungsmarker. Sind sie erhöht, weiß man zwar, dass sich irgendwo im Körper eine Entzündung abspielt, man kann aber noch nicht auf die genaue Ursache schließen. Bezogen auf die Diagnostik beim Reizdarmsyndrom heißt das, dass bei erhöhten Entzündungswerten zwar ein Reizdarmsyndrom der Grund sein könnte, aber auch andere Erkrankungen der Grund für die Erhöhung der Entzündungsmarker sein könnten.
Da viele Biomarker eher unspezifisch sind, müssen Laboruntersuchungen immer zusammen mit der ärztlichen Befragung (Anamnese), den Symptomen und weiteren Untersuchungen interpretiert werden.
Warum wird ein Biomarker für das Reizdarmsyndrom gebraucht?
Wie bereits erwähnt ist das Reizdarmsyndrom eine Ausschlussdiagnose, so dass erst alle anderen Ursachen für die Symptome der Betroffenen ausgeschlossen werden müssen. Für Reizdarmsyndrom-Patienten bedeutet dies jedoch meist einen langen Weg bis zur Diagnose und viele aufwändige Untersuchungen. Durchschnittlich warten Betroffene etwa sechs Jahre auf die endgültige Diagnose. Es wäre deshalb wünschenswert, anhand eines Bluttests das Reizdarmsyndrom diagnostizieren zu können. Deshalb beschäftigt sich die Forschung damit, ob es Biomarker gibt, die für das Reizdarmsyndrom spezifisch sind. Auch an der Entstehung und den Mechanismen des Reizdarmsyndroms wird aktuell geforscht, da die Ursache der Erkrankung noch nicht eindeutig geklärt ist. Wenn der Ursprung einer Krankheit bekannt ist, lassen sich daraus unter Umständen Therapieansätze ableiten.
Gibt es Biomarker im Blut für das Reizdarmsyndrom?
Bisher gibt es keinen Biomarker im Blut, anhand dessen man eindeutig das Reizdarmsyndrom diagnostizieren könnte. Dies liegt unter anderem daran, dass es viele verschiedene Untergruppen der Krankheit gibt. Während einige Betroffene eher an Verstopfungen leiden, haben andere hauptsächlich mit Durchfällen zu kämpfen. Dahinter vermuten Ärzte verschiedene Mechanismen, die dementsprechend auch zu unterschiedlichen Biomarkern führen würden. Es gibt jedoch einige vielversprechende Stoffe, die eventuell als Biomarker in Frage kommen.
CdtB-Antikörper als Reizdarmsyndrom-Biomarker
Einer dieser vielversprechenden Stoffe ist der sogenannte CdtB-Antikörper. Dabei handelt es sich um einen Antikörper gegen “Cytolethal distending toxin B”. Dieses Bakteriengift wird unter anderem von Campylobacter jejuni gebildet, der ein bakterieller Auslöser von Magen-Darm-Entzündungen (Gastroenteritiden) ist. Schon länger gibt es die Theorie, dass das Reizdarmsyndrom in Folge eines gastrointestinalen Infekts entsteht. Während eines solchen Infekts bilden die auslösenden Bakterien Gifte. Das Immunsystem kann dann Antikörper gegen die Bakteriengifte produzieren. Es wird vermutet, dass bei Patienten mit Reizdarmsyndrom diese Antikörper jedoch nicht nur die bakteriellen Gifte binden, sondern auch körpereigenes Gewebe angreifen. Ein solcher Vorgang nennt sich autoimmune Reaktion. Insbesondere bei Reizdarmsyndrom-Patienten, die unter Durchfall leiden, konnten die Antikörper vermehrt nachgewiesen werden. Trotzdem scheint dies noch nicht der endgültige Durchbruch zu sein, weil etwa die Hälfte der Betroffenen keinen Anti-CdtB-Marker im Blut haben. Außerdem konnte der Test nicht sicher zwischen Reizdarmsyndrom und Zöliakie (Glutenunverträglichkeit) unterscheiden.
Biomarker-Kombinationen für das Reizdarmsyndrom
Andere Forschungsgruppen versuchen, sich nicht allein auf einen einzigen Biomarker zu verlassen. Stattdessen erfassen sie eine Sammlung von verschiedenen Biomarkern gleichzeitig (sogenannte panels). Daraus wollen die Forscher errechnen, wie wahrscheinlich es ist, dass ein Reizdarmsyndrom vorliegt. Die Marker resultieren aus den unterschiedlichen Theorien, die hinter der Entstehung des Reizdarmsyndroms stehen: Entzündungsmarker, schmerzvermittelnde Substanzen, Zeichen für eine mikrobielle Besiedlung und Abbauprodukte aus dem Serotoninstoffwechsel sind nur einige der Faktoren, deren Zusammenspiel die Diagnosestellung ermöglichen soll. Darunter sind Entzündungsmarker wie die Interleukine (IL-6, IL-8), das C-reaktive Protein (CRP) oder der Tumornekrosefaktor alpha (TNF-α). Allein genommen sind diese Marker sehr unspezifisch. Die Hoffnung ist, dass sie in der Kombination eindeutigere Aussagen über das Krankheitsbild zulassen.
Interessanterweise sind die diagnostischen Fähigkeiten der Biomarker-Kombinationen besser, wenn zusätzlich auch noch andere Untersuchungsergebnisse betrachtet werden. In einer Studie aus dem Jahr 2014 nahmen Forscher Testergebnisse aus einem Fragebogen zur Diagnose von Depressionen hinzu. Daraufhin konnte der Test besser zwischen gesunden Probanden und Patienten mit Reizdarmsyndrom unterscheiden.
Gibt es alternative Biomarker für das Reizdarmsyndrom?
Blut ist nicht die einzige Substanz, in der man Biomarker messen kann. Beispielsweise kann der Nachweis von Calprotectin aus Stuhlproben schon jetzt das Vorliegen einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung nahelegen. Im Umkehrschluss folgt, dass der Nachweis von Calprotectin im Stuhl das Vorliegen eines Reizdarmsyndroms unwahrscheinlicher macht.
Es gibt auch Hinweise darauf, dass auch Moleküle in der ausgeatmeten Luft einen Hinweis darauf geben können, ob ein Reizdarmsyndrom vorliegt oder nicht. Um diese Moleküle zu messen, wird den Patienten Lactulose verabreicht. Dies ist ein Zucker, der dann von Bakterien im Darm zu Methan verarbeitet wird. Steigt die Menge des ausgeatmeten Methans unerwartet stark an, ist dies ein Hinweis auf eine bestimmte Unterform des Reizdarmsyndroms, die von Verstopfungen geprägt ist.
So vielversprechend der Einsatz von Biomarkern in der Diagnosestellung des Reizdarmsyndroms auch klingen mag, bisher ist noch kein Biomarker in der Routinediagnostik etabliert. Es wird aber weltweit nach einem solchen Biomarker geforscht und man darf auf zukünftige Entwicklungen gespannt sein.
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