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Reizdarm-Diagnose – Wie kommt es zur Diagnose Reizdarmsyndrom?

Dr. Sarah Toler, CNM, DNP

Dr. Sarah Toler, CNM, DNP

Das Reizdarmsyndrom ist keine lebensgefährliche Krankheit, aber dennoch kann die Diagnose für Betroffene sehr belastend sein. Da keine konkreten körperlichen Ursachen für das Reizdarmsyndrom zu finden sind, wird die Reizdarm-Diagnostik teils unnötig oft bei unterschiedlichen Ärzten wiederholt. Gehen Betroffene in kurzer Zeit zu mehreren Ärzten des gleichen Fachgebietes, ohne dass diese voneinander wissen, wird (teils abfällig) von „Ärztehopping” gesprochen.

Allein in den USA entstehen vor allem durch die Reizdarm-Diagnostik über 30 Milliarden US-Dollar Gesundheitskosten. Da es vergleichsweise wenige wirksame Reizdarm-Medikamente gibt, werden die Kosten nur zu etwa sechs Prozent durch Medikamente verursacht. Der übrige Teil setzt sich unter anderem aus Produktivitäts- und Arbeitsausfällen sowie Arztbesuchen zusammen.

Ärzte und Patienten sind daher angehalten, gemeinsam eine ausführliche und für den Patienten verständliche Diagnostik zu besprechen und durchzuführen. Nur so können Unsicherheiten beseitigt und Vertrauen in der Patienten-Arzt-Beziehung geschaffen werden. Dies stellt die Grundlage für eine erfolgreiche Behandlung des Reizdarmsyndroms dar. Gerade das Vertrauen zwischen Patient und Arzt ist sehr wichtig in der teils Jahre andauernden Therapie.


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Wie ist das Reizdarmsyndrom definiert?

In Deutschland werden die diagnostischen Standards von der S3-Leitlinie Reizdarmsyndrom festgelegt. Die S3-Leitlinie hat die Rom-III-Kriterien von 2006 abgelöst. Nach den deutschen Leitlinien liegt dann ein Reizdarmsyndrom vor, wenn folgende drei Punkte erfüllt sind:

  1. Es bestehen chronische, das heißt länger als drei Monate anhaltende Beschwerden (zum Beispiel Bauchschmerzen, Blähungen), die von Patient und Arzt auf den Darm bezogen werden und in der Regel mit Veränderungen des Stuhlgangs einhergehen.
  2. Die Beschwerden sollen entweder der Grund dafür sein, dass der Patient Hilfe sucht oder sich Sorgen macht, oder sie sollen so stark sein, dass die Lebensqualität des Patienten hierdurch relevant beeinträchtigt wird.
  3. Voraussetzung ist, dass keine für andere Krankheitsbilder charakteristischen Veränderungen vorliegen, welche wahrscheinlich für diese Symptome verantwortlich sind.

Was sind die Grundelemente der Diagnose „Reizdarmsyndrom”?

Für die Diagnose Reizdarmsyndrom sind zwei Dinge entscheidend:

  1. Anamnese: Patient und Arzt klären gemeinsam Muster und Ausmaß der Beschwerden. Dabei werden Auslöser (Trigger), Dauer und Zeitpunkt der Reizdarm-Symptome erfasst. Digitale oder analoge Symptom- und Ernährungstagebücher helfen bei der Anamnese.
  2. Ausschluss anderer Ursachen: Auch wenn in Studien viele körperliche Veränderung bei Reizdarmsyndrom-Patienten gemessen wurden, gibt es bis heute keinen definierten Befund, der die Diagnose Reizdarmsyndrom mit Sicherheit beweist. Deshalb ist die Reizdarmsyndrom-Diagnose eine Ausschlussdiagnose, bei der vorher andere Erkrankungen (Differentialdiagnosen) mit ähnlichen Symptomen abgeklärt werden müssen. Wichtig bei der Reizdarmsyndrom-Diagnose ist außerdem der Ausschluss von lebensgefährlichen Krankheiten. Hierzu sollten neben einer Darmspiegelung (Koloskopie) unter anderem eine allgemeine körperliche und gegebenenfalls eine gynäkologische Untersuchung stattfinden. Ergänzend hierzu haben sich Ultraschall-, Blut-, Stuhl- und Urinuntersuchungen bewährt. Zusätzlich können in Verbindung mit einem Symptomtagebuch gezielt Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten festgestellt werden.

Welche Krankheiten werden bei der Diagnose eines Reizdarmsyndroms ausgeschlossen?

Nicht bei jedem Verdacht auf ein Reizdarmsyndrom müssen alle in Frage kommenden Krankheiten (Differentialdiagnosen) ausgeschlossen werden. Vielmehr richtet sich die Reizdarm-Diagnostik nach den Leitsymptomen. Dabei lassen sich vier Gruppen unterscheiden:

  1. Durchfall (Diarrhö) als Leitsymptom
  2. Verstopfung (Obstipation) als Leitsymptom
  3. Schmerz als Leitsymptom
  4. Blähungen (Flatulenz) und Blähbauch (abdominale Distension) als Leitsymptome

In folgender Tabelle befindet sich eine Auswahl an Krankheiten (Differentialdiagnosen), die je nach Leitsymptom im Rahmen der Diagnostik ausgeschlossen werden sollten, bevor die Diagnose eines Reizdarmsyndroms gestellt werden kann:

Leitsymptom Wichtige Differentialdiagnosen
Durchfall Darminfektion mit Bakterien, Viren, Pilzen oder Parasiten
Fehlbesiedlung des Dünndarms (Small Intestinal Bacterial Overgrowth, SIBO)
chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (CED) wie Morbus Crohn, Colitis ulcerosa; Zöliakie
Kohlenhydrat-Malabsorption (zum Beispiel Lactose, Fructose und Sorbitol)
Diabetes mellitus/exokrine Pankreasinsuffizienz
Nahrungsmittelallergie
Nebenwirkungen von Medikamenten oder Missbrauch von Abführmitteln (Laxanzien-Missbrauch)
Schilddrüsenüberfunktion (Hyperthyreose)
Darmkrebs
Verstopfung Nebenwirkung von Medikamenten (zum Beispiel Opiate, Anticholinergika, Antihypertensiva, Antidepressiva)
Schilddrüsenunterfunktion (Hypothyreose) oder Unterfunktion der Nebenschilddrüsen (Hypoparathyreoidismus)
Darmkrebs
Ausstülpungen im Darm (Divertikel-Krankheit)
Schmerz Morbus Crohn
Darmkrebs
Endometriose
Eierstockkrebs (Ovarialtumor)
Verengung des Dünndarms (Stenose)

Schmerz-Störung nach Bauch-Operation

Blähungen Fehlbesiedlung des Dünndarms (SIBO)
Kohlenhydrat-Malabsorption
Schmerz-Störung nach Bauch-Operation
Unverträglichkeit von fermentierbaren Kohlenhydraten (FODMAP-Unverträglichkeit)

Auch Nerven- oder Muskelkrankheiten können für ähnliche Symptome verantwortlich sein. Hierzu gehören:

  • Morbus Hirschsprung
  • chronisch intestinale Pseudoobstruktion (CIPO)
  • akute kolonische Pseudoobstruktion (ACPO, „Ogilvie-Syndrom")
  • idiopathisches Megakolon oder Megarektum (IMC)
  • slow-transit-Verstopfung (Constipation)
  • anorektale Funktionsstörungen (z.B. Beckenboden-Dyssynergie, Anismus, Beckenbodenspastik)

Was gehört zur Basisdiagnostik des Reizdarmsyndroms?

Neben der weiter oben erläuterten Diagnostik auf Basis der Leitsymptome empfehlen die Leitlinien generell ein großes Blutbild sowie die Bestimmung des Entzündungsmarkers CRP und der Blutsenkungsgeschwindigkeit (BSG). Außerdem sollte eine Urinuntersuchung durchgeführt werden. Je nach Leitsymptom können sich dann folgende Untersuchungen anschließen:

  • Konzentrationen der Blutsalze (Elektrolytkonzentrationen), Nierenretentionswerte, Leber- und Bauchspeicheldrüsenenzyme
  • TSH (Schilddrüsenhormon)
  • Blutzucker und HbA1c (Langzeit-Blutzuckerwert)
  • Stuhl-Mikrobiologie (vor allem bei Durchfall)
  • Zöliakie-Antikörper (Transglutaminase-Ak)
  • Calprotectin A/Lactoferrin im Stuhl
  • Wasserstoff-Atemtest (H2-Atemtest)
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Wie zuverlässig ist die Diagnose des Reizdarmsyndroms?

Bei etwa fünf von einhundert Personen mit der Diagnose Reizdarmsyndrom stellt sich innerhalb der folgenden sechs Jahre heraus, dass die Symptome eine andere (organische) Ursache haben, die zu einer Erkrankung des Verdauungssystems führt. Als Folge werden Patienten mit einer Reizdarmsyndrom-Fehldiagnose teils jahrelang falsch behandelt. Durch die richtigen Untersuchungen lässt sich dieses Risiko stark minimieren.

Kann sich die Reizdarmsyndrom-Diagnose mit der Zeit ändern?

Nach der anfänglichen Diagnose hat man in Studien den Verlauf des Reizdarmsyndroms verfolgt und ist zu Ergebnissen gekommen, die sich individuell relativ stark unterscheiden. Von zehn Betroffenen verschlechtern sich die Symptome bei einem und drei bis fünf haben eine unveränderte Reizdarmsyndrom-Diagnose mit gleichen Symptomen. Bei dem Rest der Betroffenen mit ursprünglich gestellter Reizdarmsyndrom-Diagnose verbessern sich die Symptome oder sie verschwinden ganz.

Können sich hinter der Diagnose Reizdarmsyndrom auch chronisch-entzündliche Krankheiten verbergen?

Ja, die Symptome für chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (beispielsweise Morbus Crohn und Colitis ulcerosa) und die des Reizdarmsyndroms ähneln sich in vielen Fällen. So kommt es, dass ein Teil der Patienten mit einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung fälschlicherweise die Diagnose eines Reizdarmsyndroms erhält. Eine Darmspiegelung in Kombination mit einer Stuhl- und Blutuntersuchung kann eine chronisch-entzündliche Darmerkrankung aber in fast allen Fällen ausschließen.

Bei wie vielen Zöliakie-Patienten wird fälschlicherweise ein Reizdarmsyndrom diagnostiziert?

Auch bei Betroffenen, die an Zöliakie (einer Unverträglichkeit gegen den Weizenkleber Gluten) leiden, wird teilweise zuerst die Diagnose eines Reizdarmsyndroms gestellt. Dies hängt damit zusammen, dass etwa drei von vier Personen mit Zöliakie, wie ein Großteil der Reizdarm-Patienten, unter Bauchschmerzen und Blähungen leiden. Bei der Hälfte dieser Personen wird das Reizdarmsyndrom fehldiagnostiziert und die Reizdarm-Diagnose langfristig fälschlicherweise aufrechterhalten.

Etwa ein Drittel der Personen erhält eine psychische Störung als Fehldiagnose. Das führt dann dazu, dass von ärztlicher Seite eine psychische Krankheit behandelt wird, obwohl in Wahrheit mit der Zöliakie eine organische Ursache für die Beschwerden vorliegt. Für jeden fünften Patienten dauert es über zehn Jahre, bis erkannt wird, dass in Wahrheit doch eine andere Erkrankung als das Reizdarmsyndrom Ursache der Beschwerden ist.

Kann sich hinter der Reizdarm-Diagnose auch Darmkrebs verbergen?

Darmkrebs, auch kolorektales Karzinom genannt, ist eine der häufigsten Krebsarten. Es hat sich gezeigt, dass nach etwa einer von hundert Reizdarmsyndrom-Diagnosen innerhalb eines Jahres Darmkrebs auftritt. Diese Rate ist höher als in der Normalbevölkerung und legt nahe, dass sich in seltenen Fällen hinter der Diagnose Reizdarmsyndrom tatsächlich unentdeckter Darmkrebs verbergen kann. Deshalb gehört zur korrekten Reizdarm-Diagnostik ein Ausschluss von Darmkrebs durch eine Darmspiegelung. Der klinische Alltag zeigt jedoch, dass Ärzte sich nicht immer an die anerkannten Diagnoserichtlinien halten und teilweise vorschnell ein Reizdarmsyndrom diagnostizieren.

Können die Symptome des Reizdarmsyndroms auch mit denen von Eierstockkrebs verwechselt werden?

Fast neun von zehn Frauen mit Eierstockkrebs (Ovarialkarzinom) haben Symptome, die auch bei einem Reizdarmsyndrom auftreten können. Zur korrekten Reizdarmsyndrom-Diagnostik bei Frauen zählt daher immer eine umfassende gynäkologische Untersuchung durch einen Frauenarzt.

Kann sich hinter der Reizdarmsyndrom-Diagnose eine psychische Krankheit verbergen?

Magen-Darm-Beschwerden können auch im Rahmen von psychischen Erkrankungen auftreten oder sich verschlimmern. Besteht der Verdacht auf einen solchen Zusammenhang, wird empfohlen psychologische, psychiatrische oder psychosomatische Unterstützung einzuholen, um gezielt psychische Erkrankungen wie Angststörungen oder Depressionen zu erkennen und entsprechend zu behandeln. Psychische Störungen müssen nicht alleinige Ursache des Reizdarmsyndroms sein, treten aber häufig zusammen mit diesem auf.

Was tun nach der Reizdarm-Diagnose?

Das Reizdarmsyndrom ist eine zwar oft belastende, aber grundsätzlich ungefährliche Krankheit, mit der Betroffene durch richtiges Management gut und verantwortungsbewusst umgehen können.

Es gibt verschiedene wirksame Behandlungsoptionen, die Ärzte beim Reizdarmsyndrom verordnen können. Die Auswahl der richtigen Therapie hängt davon ab, welches Problem im Vordergrund steht (Bauchschmerzen, Verstopfung, Durchfall, Blähungen) und kann unter anderem klassische Medikamente, pflanzliche Präparate oder auch eine Ernährungsumstellung beinhalten.

Vielen Patienten gibt es ein gutes Gefühl, über ihre Erkrankung Bescheid zu wissen. Hierbei sind Selbsthilfegruppen eine sinnvolle Unterstützung, aber auch hochwertige Informationsangebote im Internet oder Apps erleichtern Betroffenen den Umgang mit der Krankheit. Auch kann es helfen, nahestehende Personen bewusst in die Therapie einzubeziehen. Diese können dann dabei helfen, Ernährungs- oder Medikamentenpläne einzuhalten und sind oft eine wichtige Stütze.

El‐Serag, H.B., Pilgrim, P. and Schoenfeld, P., 2004. Natural history of irritable bowel syndrome. Alimentary pharmacology & therapeutics, 19(8), pp.861-870. Online: http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/j.1365-2036.2004.01929.x/epdf, abgerufen am 24.01.2016

Layer, P., Andresen, V., Pehl, C., Allescher, H., Bischoff, S.C., Classen, M., Enck, P., Frieling, T., Haag, S., Holtmann, G. and Karaus, M., 2011. S3-Leitlinie Reizdarmsyndrom: Definition, Pathophysiologie, Diagnostik und Therapie. Gemeinsame Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs-und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) und der Deutschen Gesellschaft für Neurogastroenterologie und Motilität (DGNM. Z Gastroenterol, 49(2), pp.237-293. Online: http://www.dgvs.de/fileadmin/userupload/Leitlinien/Reizdarmsyndrom/LeitlinieReizdarmsyndrom.pdf, abgerufen am 23.01.2016.

Drossman, D.A. and Dumitrascu, D.L., 2006. Rome III: New standard for functional gastrointestinal disorders. Journal of Gastrointestinal and Liver Diseases, 15(3), p.237. Online: http://www.jgld.ro/2006/3/5.html, abgerufen am 23.01.2016

Dr. Sarah Toler, CNM, DNP

Dr. Sarah Toler, CNM, DNP

Sarah Toler ist zertifizierte Hebamme, promovierte Krankenpflegerin und Wissenschaftsautorin. Ihr Fokus liegt auf der Verbesserung der Gesundheit von Frauen und dem Zugang zur Gesundheitsversorgung durch digitale Gesundheitsplattformen. Ihr Fachgebiet ist die psychische Gesundheit, insbesondere die körperlichen Manifestationen von Stress und Ängsten. Mit Cara Care haben haben wir in Form einer App deinen ganzheitlichen Begleiter bei Verdauungsbeschwerden entwickelt. Finde HIER heraus, welches unserer Medizinprodukte für dich in Frage kommt und verbessere deine Symptome und deine Lebensqualität!

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