Darmflora – Rolle des Mikrobioms bei Reizdarm
Der Begriff „Darmflora” bezeichnet die Gesamtheit aller Bakterien im Darm. Diese tragen wesentlich zu einer gesunden Verdauung und dem Schutz vor fremden und schädlichen Bakterien bei. In diesem Text wird erklärt, wie sich die Darmflora zusammensetzt, wie sie bei Gesunden aussieht und welche Veränderungen es bei Krankheiten gibt.
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Was ist die Darmflora?
Der menschliche Darm enthält neben körpereigenen Zellen auch eine beträchtliche Menge an körperfremden Kleinstlebewesen, die nur unter dem Mikroskop sichtbar sind (Mikroorganismen). Die Gesamtheit der Mikroorganismen im Darm wird als Darmflora oder Darmmikrobiota bezeichnet. Ein weiteres, häufig verwendetes Synonym ist Darmmikrobiom, doch manche Wissenschaftler verwenden diesen Begriff spezifisch als Bezeichnung für die Gesamtheit des Erbguts (Genoms) der Mikroorganismen.
Die Darmflora besteht zum größten Teil aus Bakterien. Hierbei leben Darmbakterien und Mensch in einem symbiotischen Verhältnis, was bedeutet, dass beide Partner voneinander profitieren: Die Darmbakterien erfüllen zahlreiche Stoffwechsel- und Schutzfunktionen für den menschlichen Organismus, während der Darm des Menschen einen geschützten, nährstoffreichen Lebensraum für die Mikroorganismen bietet.
Der Darm beherbergt den Großteil aller Mikroorganismen. Es wird davon ausgegangen, dass 200 Gramm des Darmgewichtes auf Bakterien zurückzuführen sind. Die Anzahl der Gene der Mikroorganismen im Darm übertrifft die ihres Wirtes deutlich.
Wozu dient die Darmflora?
1. Die Darmflora unterstützt den Stoffwechsel
Dank der enormen genetischen Vielfalt der verschiedenen Bakterienarten kann die Darmflora zahlreiche Funktionen übernehmen, die menschliche Zellen nicht oder nur sehr begrenzt ausführen können:
- Produktion (Synthese) von Vitamin B1, B2, B6, B12, K
- Synthese aller essentiellen und nicht-essentiellen Aminosäuren (nicht-essentielle Aminosäuren kann der Körper auch selbst herstellen, essentielle Aminosäuren müssen mit der Nahrung aufgenommen werden)
- Abbau und Entsorgung giftiger Stoffe
- Abbau von Kohlenhydraten, die menschliche Zellen nicht verdauen können
Die Darmflora verbessert im Regelfall die Nährstoffversorgung des menschlichen Körpers. In manchen Fällen jedoch kann eine gestörte Funktion der Darmflora auch ursächlich für Verdauungsstörungen sein. Bei einer Lactose-Intoleranz zum Beispiel wird der Milchzucker (Lactose) in Milchprodukten nicht wie sonst durch das Enzym Lactase im Dünndarm des Wirtes, sondern durch die Darmflora im Dickdarm zersetzt. Dadurch können Gase entstehen und es kann zu Blähungen, Bauchkrämpfen und Durchfällen kommen kann.
2. Die Darmflora schützt ihren Wirt und sein Immunsystem
Ähnlich wie in der Tierwelt konkurrieren Bakterien im Darm gegeneinander um begrenzte Nahrung. Oft hat die im Darm ansässige Darmflora einen Überlebensvorteil gegenüber neuen, schädlichen (pathogenen) Bakterienarten. Dadurch verdrängt die natürliche Darmflora schädliche Keime und kann die Neubesiedlung durch krankmachende Bakterien effektiv verhindern. Dies wird in der Ökologie auch als „Konkurrenzausschluss-Prinzip” bezeichnet.
Die Schleimhaut des Darms hat eine viel größere Oberfläche als die Haut, sodass im Darm das Immunsystem besonders vor schädlichen äußeren Einflüssen schützen muss. Daher spielt die Darmwand als größte Grenzfläche zwischen Körper und Außenwelt eine wichtige Rolle in der Entwicklung des menschlichen Immunsystems. Die kontinuierliche Wechselwirkung zwischen Darmflora und Immunzellen kann das Immunsystem stark beeinflussen.
Man geht davon aus, dass insbesondere die Zusammensetzung der Darmflora im frühen Kindesalter eine weitreichende Wirkung bis ins Erwachsenenalter hat. Beispielsweise scheint es einen Zusammenhang zwischen der frühkindlichen Darmflora und der Entstehung von Allergien zu geben: Kinder mit einer nicht richtig ausgebildeten Darmflora entwickeln häufiger ein unzureichend trainiertes Immunsystem, das bei Kontakt mit eigentlich unschädlichen Stoffen überreagiert (Allergie).
3. Die Darmflora und unser Nervensystem – die Mikrobiom-Darm-Hirn-Achse
Bei der sogenannten Mikrobiom-Darm-Hirn-Achse handelt es sich um ein Kommunikationssystem, das hormonelle und immunologische Signale und Nervensignale zwischen Mikrobiom, Darm und Hirn vermittelt.
Über dieses System kann das Hirn wichtige Darmfunktionen steuern (beispielsweise Darm-Beweglichkeit, Schleimproduktion und Immunabwehr), was auch die Überlebensfähigkeit der verschiedenen Bakterienarten beeinflusst. Es ist zum Beispiel bekannt, dass sich unter Stresssituationen die chemische Umgebung der Bakterien und somit die Zusammensetzung der Darmflora verändern kann. Möglicherweise kann dieses System auch umgekehrt funktionieren und bakterielle Produkte ins Gehirn gelangen.
Es gibt auch Hinweise darauf, dass die Darmflora über die Mikrobiom-Darm-Hirn-Achse maßgeblich an der Entstehung von Erkrankungen des Nervensystems (zum Beispiel Alzheimer, Parkinson) beteiligt sein könnte. Das trifft zum Beispiel auf Experimente zu, in denen Ratten als Modell zur Untersuchung der Krankheit verwendet wurden. Hier zeigte sich, dass ein Protein, das typischerweise im Gehirn von Parkinson-Patienten vermehrt abgelagert wird (Alpha-Synuclein) über Nervenfasern in bestimmte Areale des Gehirns einwandern kann, wenn man es in die Darmwand der Ratten spritzt.
Ein weiterer Mechanismus, über den Darmbakterien auf das Gehirn wirken könnten, wird durch den Serotonin-Spiegel im Blut vermittelt. Serotonin ist ein Botenstoff im Nervensystem. Wenn im Verhältnis zum Bedarf zu wenig Serotonin vorliegt, können Depressionen auftreten.
Serotonin wird sowohl im Gehirn als auch außerhalb des Gehirns (peripher) produziert. Der überwiegende Teil des peripher produzierten Serotonins stammt aus dem Darm und die Darmflora könnte über die Veränderung der Serotonin-Ausschüttung des Darms die Menge des Serotonins im Blut und schließlich die Signalverarbeitung des Gehirns beeinflussen. Es gibt jedoch zwischen Gehirn und Blut eine Barriere (die sogenannte Blut-Hirn-Schranke), die das Gehirn davor schützt, sofort von Blutbestandteilen beeinflusst zu werden. Deshalb ist nicht ganz klar, inwieweit das im Darm produzierte Serotonin tatsächlich im Gehirn wirken kann.
Wie setzt sich die Darmflora zusammen?
Innerhalb des Verdauungstraktes herrscht eine sehr ungleiche Verteilung der Bakterienflora. Vor allem wegen der stark sauren Magensäure, die die Überlebensfähigkeit von Bakterien einschränkt, sind der Magen und der nachfolgende Dünndarm nahezu bakterienfrei. Im Dickdarm andererseits kommen sehr viele Mikroorganismen vor.
Bislang wurden etwa 50 verschiedene Bakterienstämme im menschlichen Darm identifiziert. Im Wesentlichen besteht die Darmflora jedoch aus den folgenden zwei Bakterienstämmen:
- Firmicutes
- Bacteroidetes
Wie bildet sich die Darmflora bei Neugeborenen?
Neugeborene haben noch kaum Bakterien in ihrem Darm. Der menschliche Darm wird während des Geburtsvorgangs zum ersten Mal durch Bakterien besiedelt. Hierbei unterscheidet sich die anfängliche Darmflora bei natürlichen Geburten (Bakterien der mütterlichen Scheidenflora) und Kaiserschnitt-Geburten (Bakterien der mütterlichen Hautflora).
Eine besonders wichtige Rolle kommt zudem der Ernährung des Neugeborenen zu. Der höhere Anteil sogenannter Bifidobakterien im Darm gestillter Kinder im Vergleich zu Kindern mit Formula-Nahrung (künstliche Milch) ist nur ein Beispiel. Eine mögliche Erklärung hierfür ist, dass die Muttermilch Bakterien enthält, die auch das Besiedlungsverhalten anderer Bakterien beeinflussen.
Mit dem Übergang zu fester Nahrung verändert sich die Zusammensetzung der Darmflora stark: die lactose-zersetzenden Bakterien, die zuvor eine zentrale Funktion eingenommen hatben, werden durch andere Bakterienarten verdrängt. Diese Bakterien können Kohlenhydrate, Proteine und Fette verwerten und zusätzlich Vitamine bilden. Man weiß heute auch, dass sich durch bestimmte Ernährung wie zum Beispiel die low-FODMAP-Diät die Darmflora verändert.
FODMAP steht für “fermentierbare Oligo-, Di-, Monosaccharide und (englisch „and”) Polyole”. Dies sind Kohlenhydratbausteine, die nur schlecht über die Darmwand aufgenommen werden und so im Darm verbleiben und von Bakterien verstoffwechselt werden.
Auch im Erwachsenenalter kann das Mikrobiom durch die Ernährung drastisch verändert werden. Bei fettleibigen Personen etwa wurde ein erhöhter Anteil an Firmicutes beobachtet, wohingegen eine ballaststoffreiche, fettarme Nahrung ihren Anteil zu senken scheint.
Dass sich selbst bei gesunden Menschen die Zusammensetzung der Darmflora unterscheiden kann, lässt sich dadurch erklären, dass viele Funktionen von mehreren Bakterienarten übernommen werden. Somit kann ein verminderter Anteil einer Art durch den erhöhten Anteil einer anderen Art ausgeglichen werden.
Was hat die Darmflora mit dem Reizdarmsyndrom zu tun?
Ein mehr oder weniger stabiles Gleichgewicht zwischen Darmmikrobiom und Wirtsorganismus, das sich im Erwachsenenalter einpendelt, wird als Eubiose bezeichnet. Dieses Gleichgewicht kann unter bestimmten Umständen in Bezug auf Anzahl und Zusammensetzung der Bakterien gestört werden (Dysbiose, Fehlbesiedlung). Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn im Laufe einer Langzeit-Behandlung mit einem Antibiotikum eine große Bandbreite an Bakterienarten abgetötet wird. Auch bei schweren Durchfallerkrankungen kommt es häufig zu einer Verschiebung der Darmflora, wodurch ein postinfektiöses Reizdarmsyndrom begünstigt werden kann.
Solch eine drastische Dysregulation geht oft mit akuten Nebenwirkungen einher. Man geht davon aus, dass eine stark gestörte Darmflora eine Reihe von Erkrankungen begünstigen kann. Zu diesen Krankheiten gehören zum Beispiel Fettleibigkeit, Diabetes mellitus Typ 2, Alzheimer, Parkinson und chronisch-entzündliche Darmerkrankungen wie Colitis ulcerosa und Morbus Crohn, bei denen das Immunsystem den eigenen Darm angreift. Dies trifft auch auf das Reizdarmsyndrom zu.
Beim Reizdarmsyndrom tragen verschiedene Mechanismen zur Dysbiose bei. Einerseits kann das veränderte Gleichgewicht der Darmflora eine Veränderung des bakteriellen Stoffwechsels zur Folge haben. Andererseits können sich bedingt durch die Schwächung des ansässigen Mikrobioms krankheitserregende Bakterien leichter an der Darmwand ansiedeln oder sogar in sie eindringen. Außerdem kann es zu einer Fehlbesiedlung des Dünndarms kommen. Das bedeutet, dass Bakterien aus dem Dickdarm in den Dünndarm einwandern. Wie schon erwähnt ist bei gesunden Menschen der Dünndarm weitgehend frei von Bakterien.
Welche Rolle spielt die Darmflora in der Therapie des Reizdarmsyndroms?
Da die Darmflora eine entscheidende Rolle bei der Entstehung des Reizdarmsyndroms spielt, stellt sie zugleich einen möglichen Angriffspunkt für Behandlungen dar.
Probiotika
Hierbei handelt es sich um Zubereitungen von nützlichen Bakterienkulturen, die sich dann im Darm ansiedeln sollen. Probiotika gibt es in verschiedenen Darreichungs-Formen wie zum Beispiel als Tabletten oder Joghurts. Bislang mangelt es jedoch an einem genauen wissenschaftlichen Verständnis von der Wirksamkeit von Probiotika beim Reizdarmsyndrom.
Stuhltransplantation
Bei einer Stuhltransplantation wird der Stuhl eines gesunden Spenders in den Darm eines kranken Empfängers eingebracht (implantiert). Dies wird meist im Rahmen einer Spiegelung des Darms durchgeführt. Der Spender muss bestimmte Bedingungen erfüllen, der Stuhl wird untersucht (zum Beispiel auf krankheitserregende Bakterien) und dann gereinigt. Erst dann wird der Empfänger damit behandelt.
Bei der Clostridium-difficile-assoziierten Diarrhö __ (also einer Durchfallerkrankung, die durch das Bakterium Clostridium difficile ausgelöst wird) wird diese Methode als Mittel der letzten Wahl manchmal erfolgreich angewendet. „Mittel der letzten Wahl” bedeutet, dass erst alle anderen Therapie-Möglichkeiten ausprobiert wurden. Diese Durchfallerkrankung kann nach Therapie mit Antibiotika entstehen, wenn als Nebenwirkung viele der nützlichen Darmbakterien abgetötet wurden und deshalb das schädliche Bakterium Clostridium difficile den Darm überwuchern kann.
Der Nutzen von Stuhltransplantationen bei chronisch-entzündlichen Krankheiten sowie beim Reizdarmsyndrom konnte bislang noch nicht nachgewiesen werden und ist Gegenstand aktueller Forschung. Bislang profitierten jedoch nur einige wenige Menschen im Rahmen dieser Studien von einer Stuhltransplantation.
Fest steht, dass die Nebenwirkungen und Langzeitfolgen von Stuhltransplantationen bislang noch nicht sicher abzuschätzen sind. Vor allem bei einem verletzten Darm (beispielsweise im Rahmen einer entzündlichen Darmerkrankung) können viele Bakterien des transplantierten Stuhls ins Blut des Empfängers gelangen. Dadurch ist es schon zu Todesfällen aufgrund von Blutvergiftungen gekommen.
Momentan sind mehrere Medikamente in der Testphase, die Teile der Stuhltransplantation synthetisch nachbilden, um so kontrollierter und über andere Wege (zum Beispiel über Tabletten) die Darmflora positiv zu beeinflussen.
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