Hereditäres Angioödem (HAE)
Das hereditäre Angioödem ist ein sehr seltenes Krankheitsbild. Betroffene leiden unter wiederkehrenden (rezidivierenden) Schwellungen, die hauptsächlich im Gesicht und Halsbereich auftreten. Doch nicht nur in von außen sichtbaren Bereichen führt die Erkrankung zu Wassereinlagerungen (Ödemen): häufig ist auch der Magen-Darm-Trakt (Gastrointestinaltrakt) von den Schleimhautschwellungen betroffen. Dies führt zu immer wieder auftretenden, starken Bauchkrämpfen mit Durchfall, Übelkeit und Erbrechen. Da diese gastrointestinalen Symptome auch bei anderen Erkrankungen auftreten und nicht immer von sichtbaren Ödemen begleitet werden, wird die richtige Diagnose oft erst spät gestellt.
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Was sind die Symptome bei hereditärem Angioödem (HAE)?
- wiederkehrende, sehr starke, krampfartige Bauchschmerzen (Kolik)
- Durchfall
- Übelkeit und Brechreiz
- gelegentlich Erbrechen
- nicht juckende Schleimhautschwellungen (Ödeme) in Gesicht und an den Armen und Beinen (Extremitäten)
- Schleimhautschwellungen im Halsbereich (selten, aber lebensbedrohlich!)
Die aufgeführten Symptome sind äußerst schmerzhaft und für die Betroffenen sehr belastend. Sie dauern ohne ärztliche Behandlung zwischen zwei und sieben Tage an und legen sich dann von selbst. Nicht immer treten alle Symptome zusammen auf. Insbesondere wenn die Magen-Darm-Beschweren isoliert auftreten, erschwert dies die Diagnosestellung. Dauer und Schwere der Beschwerden sind sehr individuell und unterscheiden sich in ihrer Ausprägung stark zwischen den Betroffenen. Die Ödeme sind beim hereditären Angioödem im Unterschied zu allergischen Schwellungen nicht juckend. Je nach Auftreten können die Schwellungen aber sehr gefährlich sein. Im Hals- und Kehlkopfbereich können sich die Atemwege verschließen und die Betroffenen dadurch ersticken! Es handelt sich um eine Notfallsituation, die zum Glück aber nur sehr selten auftritt.
Wie weiß ich, dass sich eine Attacke ankündigt?
Häufig tritt das hereditäre Angioödem unvorhersehbar auf. Doch bei manchen Betroffenen kündigt sich die Attacke mit gewissen Vorboten (Prodromi) an. Das bedeutet, dass der Schleimhautschwellung bestimmte Beschwerden und Gefühlszustände voran gehen. Dazu gehört ein vermehrtes Durstgefühl, Abgeschlagenheit und Müdigkeit, Aggressivität oder eine depressive Verstimmung. Auch ein begrenzter, rosaroter Hautausschlag am Körperstamm, der nicht juckt, (Erythema Marginatum) kann auftreten. Wenn Du an dem hereditären Angioödem erkrankt bist, achte auf diese möglichen Vorboten!
Ein Ausbruch der Erkrankung kann aber auch von Zahnoperationen oder Operationen am Kehlkopf getriggert werden. In diesem Fall ist die Gefahr einer Schwellung im Bereich der Atemwege besonders hoch. Auch Infektionskrankheiten, psychisch belastende Stresssituationen oder auch hormonelle Veränderungen und Medikamente (ACE-Hemmer, Östrogene) können einen Ausbruch auslösen.
Was ist die Ursache des hereditäres Angioödem (HAE)?
Beim HAE handelt es sich um eine genetische Erkrankung. In den meisten Fällen wird die Erkrankung von den Eltern vererbt. Frag in Deiner Familie nach, vielleicht kennt ein Familienmitglied die Beschwerden selbst auch. Für die Nachkommen besteht nämlich ein Risiko von fünfzig Prozent die Erkrankung zu erben (autosomal dominante Vererbung). Eine Veränderung (Mutation) auf dem Gen des sogenannten C1-Inhibitors ist für die Angioödemattacken verantwortlich. Es liegt auf dem langen Arm des Chromosoms 11. In manchen Fällen tritt die Mutation aber auch spontan auf, das heißt, dass die Eltern noch keine Veränderung des Gens hatten. Die Mutation führt dazu, dass entweder zu wenig C1-Inhibitor vorhanden (quantitativer Mangel) ist oder dass dieser nicht richtig funktioniert. Deswegen wird das hereditäre Angioödem in verschiedene Typen unterteilt. In der Tabelle sind die beiden Haupttypen des hereditären Angioödems (HAE) aufgelistet. Sie unterscheiden sich nicht in ihren Symptomen oder ihrer Therapie. Es gibt aber auch noch weitere Erkrankungen, die Angioödeme auslösen. Auch diese sind in der Tabelle aufgeführt.
Typ | Beschreibung | Symptome |
---|---|---|
HAE-I | 85% C1-Inhibitor-Mangel |
Schwellungen an Extremitäten Bauch (Schmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Durchfall) Hals (Gefahr Larynxödem) Auslöser: spontan, Stress, Operationen, Verletzungen |
HAE-II | 15% Funktionsstörung C1-Inhibitor |
wie HAE-I |
HAE-III | normaler C1-Inhibitor-Spiegel im Blutplasma | ähnlich wie HAE-I und HAE-II |
AAE-I | Auto-Immun-Reaktion Antikörper zerstören die Funktion des C1-Inhibitors |
Wie HAE-I |
idiopathisches Angioödem | Cell | Schwellungen und/oder juckende Quaddelbildung (Urtikaria) bis zu 6 Wochen Dauer Schilddrüsenerkrankung abklären! |
Allergisches Angioödem | häufigste Form allergische Reaktion (Nahrungsmittel, Stiche, Arzneimittel) Histaminvermittelt |
Schwellungen in Gesicht und Halsbereich juckende Quaddelbildung (Urtikaria) |
durch ACE-Hemmer und Angiotensine ausgelöst | Reaktion auf Blutdruck senkende Medikamente | Vermehrt Schwellungen im Gesicht- und Halsbereich (Zunge, Lippen) |
Was ist die Aufgabe des C1-Inhibitors?
Der C1-Inhibitor ist Teil eines komplizierten Systems in deinem Körper, welches die Durchlässigkeit der Gefäße (Gefäßpermeabilität) und die Ausdehnung der Gefäße (Vasodilatation) regelt. Dies geschieht im letzten Schritt über das Hormon Bradykinin, welches an seinen Rezeptor bindet. Der C1-Inhibitor hemmt beim Gesunden die Bildung des Hormons Bradykinin. Gibt es zu wenig C1-Inhibitor oder funktioniert dieser nicht richtig, entsteht im Körper zu viel Bradykinin. Dies führt dazu, dass die Gewebezellen durchlässig werden: eine Schwellung entsteht!
↓ C1-Inhibitor → ↑ Bradykinin → ↑ Gefäßdurchlässigkeit → Angioödem!
Wie diagnostiziere ich das hereditäre Angioödem (HAE)?
Besteht der Verdacht, dass Du an einem hereditären Angioödem erkrankt bist, dann kann die Diagnose durch die Messung der C1-Inhibitoren-Konzentration im Plasma bestätigt werden. Außerdem wird der Komplementfaktor C4 und die C1-Inhibitorenaktivität untersucht.
Wie therapiert man das hereditäre Angioödem (HAE)?
Für die Betroffenen ist es eine große Erleichterung, wenn für ihre starken und belastenden Beschwerden endlich die Ursache gefunden ist. Jede Attacke sollte dann im Akutfall so früh wie möglich behandelt werden. Wie Du in den Abschnitten Ursache und Aufgabe des C1-Inhibitors erfahren hast, gibt es zwei mögliche Anknüpfpunkte für die Therapie:
- Gabe C1-Inhibitor-Konzentrat → Ausgleich des Mangels
- Blockade des Rezeptors, an den Bradykinin bindet → Bradykinin kann seine Wirkung nicht entfalten
Leidest Du häufig unter Angioödemattacken, besteht auch die Möglichkeit der vorbeugenden Behandlung (Prophylaxe). Diese ist insbesondere bei schweren Anfällen und in stressigen Phasen oder vor Operationen anzuraten. Denn in diesen Situationen ist das Risiko, dass Du ein Angioödem entwickelst, erhöht. Leider treten bisher auch während der prophylaktischen Therapie Attacken auf. Somit ist jeder Patient auf die Akuttherapie angewiesen. Du wirst in Deinem Leben vermutlich mehrere Angioödemattacken haben. Viele Studien haben gezeigt, dass die Medikamente der Akuttherapie auch nach vielen Anwendungen noch gut wirken.
Welche Medikamente finden in der Therapie Anwendung?
Die folgende Tabelle gibt Dir einen Überblick über die herkömmlichen Medikamente, deren Wirksamkeit in Studien nachgewiesen wurde. Sie sind in Deutschland für akute Attacken im Erwachsenenalter zugelassen. Berinert (*) ist auch zur Behandlung von Kindern zugelassen.
Typ | Name | Art der Gabe | Wirkung | Nebenwirkung |
---|---|---|---|---|
| | Akuttherapie | | |
C1-Inhibitor-Konzentrat | Berinert* Cinryze |
intravenös (in die Vene) |
Larynxödeme Bauchschmerzattacken Hautschwellungen |
|
Rekombinanter C1-Inhibitor | Ruconest | intravenös | Akute HAE-Attacke bei Erwachsenen | – Kopfschmerz |
Bradykinin-B2-Antagonist | Icatibant (Firazyr) |
subcutan (unter die Haut) |
Larynxödeme Hautschwellungen Abdominalattacken |
– Lokale Reaktionen möglich – bei 10%: Wiederauftreten Ödem möglich, erneute Injektion |
| | Prophylaxe | | |
C1-Inhibitor-Konzentrat | Cinryze | intravenös | Prophylaxe | Bei einem Teil der Patienten im Verlauf Aktivitätszunahme der Erkrankung |
Worauf sollte bei der Behandlung geachtet werden?
- die Leitlinien* empfehlen, alle Schwellungen im Gesichtsbereich zu behandeln und stationär zu beobachten. Ihnen kann eine lebensgefährliche Schwellung im Kehlkopfbereich (Larynxödem) folgen
- verschiedene Studien konnten zeigen, dass eine frühe Behandlung zu kürzer Dauer der Schwellung und weniger Schmerzen führt
- krampflösende Zäpfchen können bei milden Bauchattacken ausreichen
- bei schweren abdominellen Attacken Behandlung mit C1-Inhibitor-Konzentrat oder Icatibant
- als Patient mit einem hereditären Angioödem durch C1-Inhibitoren-Mangel solltest du zwei Dosierungen Berinert oder Firazyr als Notfallmedikament vorrätig haben
* die Leitlinien sind momentan in Überarbeitung
Welche Medikamente helfen beim hereditären Angioödem nicht?
Beim durch C1-Inhibitorenmangel bedingtem Angioödem sind Kortikosteroide, Antihistaminika und Adrenalin nicht wirksam! Antihistaminika werden zur Therapie von idiopathischem Angioödem eingesetzt und Kortikosteroide bei schweren allergischen Reaktionen.
Gibt es eine Selbsthilfegruppe für Betroffene?
Die HAE-Vereinigung e.V. ist ein Verein, der dich als Betroffener unterstützt und informiert. Neben Informationsveranstaltungen stellt der Verein auf der Seite auch Behandlungszentren und neueste Forschungsergebnisse vor. Profitiere von den Erfahrungen anderer Betroffener und Experten. Auch wenn das hereditäre Angioödem eine seltene Erkrankung ist – Du bist nicht allein! Trete in Kontakt mit anderen Betroffenen über die HAE-Vereinigung e.V.
Schiefke, I. (2018). Thieme-Refresher Innere Medizin. Das hereditäre Angiödem. Thieme, 10, 1-12.
Longhurst, H. (2018). Optimum Use of Acute Treatments for Hereditary Angioedema: evidence-Based expert Consensus. Frontiers in Medicine, Vol. 4, 245. Online abgerufen am 2. April unter https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fmed.2017.00245/full
Bork, K., Maurer, M., Bas, M., Hartmann, K., Biedermann, T., Kreuz, et al. Leitlinie „Hereditäres Angioödem durch C1-Inhibitor-Mangel“. Online abgerufen am 2. April unter http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/061-029l_S1_Hereditäres_Angioödem_durch_C1-Inhibitor_Mangel_2012-abgelaufen.pdf